Künftig ein Team: menschliche und Künstliche Intelligenz
KI-Forscher Sebastian Stober baut eine Brücke, auf der menschliche und Künstliche Intelligenz zueinander finden. Der junge Professor sieht sich als interdisziplinärer Lehrer von beiden. Er beobachtet das menschliche Gehirn beim Denken und leitet daraus Modelle ab, mit denen er künstliche neuronale Netze trainiert. Werden uns in Zukunft Maschinen nicht nur die Arbeit, sondern auch das Denken abnehmen? Sebastian Stober schüttelt entschieden den Kopf. Er mag keine Visionen, in denen Roboter die Welt beherrschen.
Der 38-jährige Professor für Künstliche Intelligenz hat ein kleines Büro in dem großen Gebäude der Fakultät für Informatik an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Durch sein Fenster kann er hinaus auf das Areal blicken, wo ein Bistro seine Außenplätze hat. Die jungen Leute essen, trinken, unterhalten sich, lesen – ein Fensterblick ins Campusleben, in dem sich menschliche Intelligenz versammelt. Doch mit sehr großer Wahrscheinlichkeit ist kein Gehirn darunter, das riesige Datenmengen in höchster Geschwindigkeit verarbeiten kann. "Da sind Computer viel besser als wir“, weiß Sebastian Stober und hat auch schnell einen Vorteil menschlicher Gehirnaktivität parat: die Intuition. Seiner Meinung nach werden die Maschinen ihre eigene, eine andere Intelligenz entwickeln. Er stellt sich sogenannte „Human-in-the-Loop“-Szenarien vor; eine Interaktion von Mensch und Maschine, in der beide voneinander lernen, sich gegenseitig anpassen und eine Zukunft gestalten, von der wir uns heute vieles noch nicht vorstellen können.
Prof. Stober im Seminarraum an der Uni Magdeburg (Foto: Jana Dünnhaupt / Uni Magdeburg)
Die intelligenten Computersysteme sollen nicht unser Leben beherrschen, es aber verbessern. Der junge Professor ist einer von denen, die Richtungsweiser aufstellen wollen auf dem Weg dorthin. Der Grundlagenforscher beobachtet das menschliche Gehirn beim Denken und leitet daraus Modelle für künstliche neuronale Netze ab. Die wiederum sollen lernen, unsere Gehirnsignale zu verstehen und zu übersetzen. Stober ist einer der Pioniere auf diesem Gebiet. Denn im Gegensatz zur Industrie, wo die KI, so das Kürzel für die Künstliche Intelligenz, bereits zur Anwendung kommt, steckt sie auf dem Gebiet der Neurowissenschaften gerade mal in den Kinderschuhen.
Sebastian Stober sieht sich als Brückenbauer zwischen der menschlichen und der maschinellen Intelligenz. Der Wissenschaftler hat ganz konkrete Anwendungsfelder vor Augen; allen voran in der Medizin, wo die Künstliche Intelligenz über besagte Brücken den Weg zum menschlichen Gehirn finden könnte. „Greif die Flasche“ – von der Kraft des puren Gedankens angesprochen würden feinmotorische Bewegungen von Neuroprothesen wie etwa einer künstlichen Hand möglich sein, stellt der Wissenschaftler in Aussicht. Ebenso hat er die Wachkoma-Patienten im Fokus. Die sind nicht in der Lage, über Sprache, Gestik oder Mimik zu kommunizieren, und über deren Bewusstseinszustände wissen Mediziner noch nicht sehr viel. "Anstelle der Patienten könnte auf Fragen der Ärzte eine Maschine antworten, die in der Lage ist, die Gehirnaktivitätsmuster der Patienten zu erkennen und zu übersetzen“, sagt Stober.
Ideale Voraussetzungen in Magdeburg
Der Professor bezeichnet sich nicht nur als Lehrer seiner Studierenden, sondern auch als Lehrmeister der Maschinen. Er bringt seinem Computer bei, Muster zu erkennen und zu unterscheiden. Dafür muss er sich die richtigen Lehr- und Lernmethoden überlegen und in großem Umfang Unterrichtsmaterial, sprich Daten, zur Verfügung stellen. Doch noch gibt es nur wenige Daten zu den Gehirnaktivitäten von Menschen. Zudem sind die von Elektroenzephalografie-Geräten (EEG) aufgezeichneten Signale sehr ungenau. Man könne sich die gesamte Hirnaktivität wie eine Party vorstellen, macht es Sebastian Stober anschaulich: "Alle sprechen gleichzeitig, dabei entsteht ein Hintergrundrauschen. Man muss sich sehr konzentrieren, um einen Einzelnen zu verstehen. Ebenso schwierig ist es, aus dem EEG relevante Signale herauszufiltern. Und weil sie zudem die Schädeldecke durchdringen müssen, kommen sie noch undeutlicher an.“
Die gemessene Gehirnaktivität wird im Computer zusammengeführt. Diese Daten dienen den künstlichen neuronalen Netzen als Lernmaterial. (Foto: Jana Dünnhaupt / Uni Magdeburg)
Da weiß Sebastian Stober das Glück zu schätzen, in Magdeburg mit dem renommierten Leibniz-Institut für Neurobiologie (LIN) zu kooperieren. „Zum einen können wir aus Daten vom LIN neue Modelle trainieren und damit neue Möglichkeiten der Datenanalyse eröffnen. Zum anderen hilft uns die Expertise des Instituts, künstliche neuronale Netze zu entwickeln, die besondere Lernfähigkeiten besitzen.“ Überhaupt sieht der Professor in Magdeburg beste Voraussetzungen, sein Forschungsfeld gut zu bestellen. Zum Studienangebot der Otto-von-Guericke-Universität zählen der Masterstudiengang "Data and Knowledge Engineering“ und der Informatik-Bachelor mit dem speziellen Profil „Lernende Systeme / Biocomputing“. Zur Fakultät Informatik gehört zudem das Institut für Intelligente kooperierende Systeme, wo mehrere Arbeitsgruppen mit entsprechenden Forschungsschwerpunkten angesiedelt sind.
Das sogenannte „Deep Learning“, das sind bestimmte Trainingsmethoden zur Optimierung der künstlichen neuronalen Netzwerke, sei als Forschungsgebiet wie maßgeschneidert für ihn, meint Sebastian Stober. Bevor er sich für den an der Magdeburger Uni ausgeschriebenen Lehrstuhl "Künstliche Intelligenz“ bewarb, leitete er an der Universität Potsdam die Nachwuchsforschergruppe „Maschinelles Lernen in den Kognitionswissenchaften“. Der gebürtige Halberstädter ging nach seinem Informatik-Studium an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg (als bester Absolvent übrigens) und mit dem Doktortitel im Reisegepäck 2013 nach Kanada an das Brain and Mind Institute der University of Western Ontario, um dort als Postdoktorand zu arbeiten. Er entwickelte gemeinsam mit Neurowissenschaftlern Ideen für Experimente, bei denen die Gehirnaktivitäten so genau wie möglich aufgezeichnet werden.
Über Musik kommunizieren
Professor Stober verfolgt dabei eine ganz eigene Methode, für die er in seiner Dissertation die Grundlagen erforscht hatte. Er verwendet vorwiegend Aufnahmen von Probanden, die Musik hören oder sich Musikstücke vorstellen. Dass Musik zu jedem Menschen Zugang findet, lässt sich auch für den Laien nachvollziehen. Der Musik gelänge es, erklärt Stober, unterschiedlichste Hirnareale zu stimulieren. Daher halte er Musik für sehr gut geeignet, das Gehirn beim Arbeiten zu beobachten. Soll heißen: Der Professor stimuliert das Gehirn mit Musik und analysiert das aufgezeichnete EEG. Die künstlichen neuronalen Netze sollen lernen, die EEG-Signale zu verstehen und mit der Musik in Beziehung zu setzen.
Stober kommt wieder auf die Wachkoma-Patienten zu sprechen. Perspektivisch könnte die Musik ein Kommunikationsmittel sein, das dem Arzt den Zugang zum Bewusstsein dieser Patienten öffnet. In diesem Zusammenhang macht der Grundlagenforscher auf die Grenzen im Umgang mit der Künstlichen Intelligenz aufmerksam. Er ist strikt gegen den Einsatz der KI, wenn es etwa um autonome Waffensysteme geht oder um den Aktienhochfrequenzhandel mit Nullwert für die Gesellschaft. Er setze sich auch vehement gegen Manipulations- und Massenbeobachtungssysteme ein, betont Sebastian Stober. Auch darum bringe er sich aktiv in die Arbeit entsprechender Verbände und Netzwerke ein. Der Wissenschaftler engagiert sich bei der International Society for Music Information Retrieval, einer gemeinnützigen Organisation zur Arbeit mit musikbezogenen Daten, sowie im Bernstein Netzwerk Computational Neuroscience, das der Öffentlichkeit Forschungsinhalte und -ergebnisse aus dem Bereich der Neurowissenschaften vermittelt.
Zudem war Stober Mitglied im Beirat der „KI & wir“-Convention zu Künstlicher Intelligenz und Gender. Außerdem ist er Vorstandsmitglied des sachsen-anhaltischen Landesvereins eLeMeNTe zur Förderung mathematisch, naturwissenschaftlich und technisch interessierter und talentierter Schüler und Studierender. „Uns geht es unter anderem darum, hier im Lande günstige Rahmenbedingungen für die Begabtenförderung zu schaffen“, sagt der KI-Experte und lenkt den Fernblick in eine Zukunft, in der die Künstliche Intelligenz ihren festen Platz hat. An der Fakultät in Magdeburg werden die Wegbereiter dafür ausgebildet. Professor Stober findet es sehr inspirierend, auch mit Ingenieurwissenschaftlern und Medizinern, mit Physikern und Biologen, mit Psychologen und Philosophen ins Gespräch zu kommen. „Wenn ich die Künstliche Intelligenz ernsthaft fördern und verantwortungsbewusst voranbringen will, geht das gar nicht anders“, sagt er.
Sein Nahblick ist wieder der aus dem Fenster: Mittagszeit auf dem Campus. Stober hat sich in der Mensa verabredet. Danach will er seinen Computer mit Daten füttern. Der bekommt gerade Musikunterricht – für ein Forschungsprojekt in einer Lehrveranstaltung. „Die ersten von der KI generierten Rhythmen klingen schon nicht schlecht“, meint der Lehrer anerkennend.
Wussten Sie dass, ...
- ... der amerikanische Verfassungsrichter Potter Steward 1964 eine Definition für Pornografie finden sollte? Seine notdürftige Antwort: "Ich erkenne sie, wenn ich sie sehe." Es ist das Polanyis Paradox: etwas erkennen, aber nicht wissen warum. Dieses Paradox haben die Menschen auf die KI umgelagert. KI kann Millionen von Bildern auswerten, bestimme Merkmale herausfiltern. So lernt KI beispielsweise wie Hunde aussehen und kann sie.
- ... KI eigentlich nichts Neues ist? Schon 1955 sprach Informatik-Professor John McCarthy von Künstlicher Intelligenz, ein Jahr später fand am Dartmouth-College in den USA die erste Konferenz zum Thema statt. Der berühmte Mathematiker und Informatiker Alan Turing hatte schon Ende der vierziger Jahre als Erster die Frage gestellt: Können Maschinen denken? Heute sind KI-basierte Sprachassistenten wie Alexa und Siri fester Bestandteil unseres Alltags. Schon 1966 war es möglich, sich mit einer Maschine zu unterhalten, die selbstständig antwortete: Chatbot ELIZA. Er soll eine Psychotherapiesitzung simulieren. ELIZA wurde mit der Intention entwickelt, ein (schriftliches) Gespräch am Laufen zu halten, damit die Sprache studiert werden konnte. Es gab auch noch andere Szenarien, aber die Psychotherapie funktionierte am besten. wiederum auf Bildern identifizieren und sagen: Das ist ein Hund – aber sie weiß nicht warum.